Meldungen des Jahres 2019

Meldung vom 12. März 2019

Die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ im Spiegel von Stasi-Akten. Eindrücke einer BStU-Veranstaltung in Gera

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Aufgegriffen: Geschichten aus den Stasi-Akten“ der BStU-Außenstelle Gera fand am 6. März 2019 eine Lesung zum Thema „Die Stasi und die ‚Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit’ (KgU)“ statt. Die Veranstaltungsreihe verbindet jeweils eine Führung durch das Archiv der ehemaligen Bezirksverwaltung Gera des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), zu der elf Kreisdienststellen gehörten, mit einem zeithistorisch interessanten Fall aus dem eigenen Aktenbestand. Im Mittelpunkt stehen „regionale Begebenheiten und Ereignisse, die einen Eindruck der Vielfalt der überlieferten Akten vermitteln“. Die überlieferten MfS-Akten in Gera haben eine Länge von über vier Regalkilometern.

In dieser Hinterlassenschaft befinden sich auch jene 33 Aktenbände zum Schauprozess gegen fünf Thüringer „Agenten“ der „KgU“, die im Juni 1955 vor dem Obersten Gericht der DDR in Ost-Berlin standen. Der massive Einfluss der Stasi als geheimpolizeiliches Ermittlungs-, Untersuchungs- und Haftorgan ist hier ausführlich dokumentiert. Eine Sachbearbeiterin der BStU-Außenstelle hatte sich des Themas angenommen und legte ihre Forschungsergebnisse mit eindrücklichen Zitatpassagen vor, ergänzt durch Tonaufnahmen der damaligen Gerichtsverhandlung im „demokratischen Rundfunk“ der DDR. Am konkreten Fall wurde so das Wechselverhältnis zwischen Staatssicherheit, Justiz, Öffentlichkeit und Propaganda sowie die zentrale Rolle der SED-Führung bei der Ausrichtung, Anleitung und Urteilsfindung des Schauprozesses deutlich.

Was aber war die „KgU“ überhaupt? Im Jahr 1948 in West-Berlin gegründet und mit einer Lizenz der Alliierten Kommandantur als politische Organisation versehen, agierte sie als militant eingestellte Vereinigung kompromissloser Gegner des SED-Regimes. Von West-Berlin aus unterstützten ihre Mitglieder den Widerstand gegen die SED-Diktatur in der DDR. Ursprünglich mit der Wahrnehmung eines Suchdienstes für in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) verschleppte Gegner des kommunistischen Systems betraut, durchlief die „KgU“ im Kampf gegen einen radikalen Gegner während des Kalten Krieges selbst einen Radikalisierungsprozess. Anfangs wurde mit der Verteilung von Flugblättern und illegalen Druckerzeugnissen, der Anbringung von Widerstandsparolen („F“-Kampagne), der Werbung für die Wiedervereinigung, dem Verschicken von Drohbriefen oder der Agitation gegen die Rote Armee zivilgesellschaftlicher Widerstand organisiert. Später wurde der Protest durch zusätzliche Widerstandsformen gezielt beschleunigt. Etwa durch Sabotageaktionen, Spionage, administrative Störungen, versuchte Brandstiftungen oder die geplante Sprengungen von Eisenbahnbrücken, Talsperren und Hochleitungsmasten. Die Versuche der „KgU“ zur Destabilisierung des SED-Regimes bieten ein widersprüchliches Erscheinungsbild, wie die Referentin in ihren Ausführungen darlegte. Dieser Eindruck verstärkt sich, weil auch zivile Opfer bei den „KgU“-Aktionen einkalkuliert waren. Die SED führte bereits seit 1952 eine massive Propagandakampagne gegen die „KgU“, die ab Mitte 1953 in der Aktion „Konzentrierte Schläge“ unter Federführung des MfS mündete. Der Schauprozess im Juni 1955 war letztlich das Ergebnis jener Stasi-Aktion. Verhaftet und angeklagt als „gewissenlose Handlanger der KgU“ waren Gerhard Benkowitz, Hans-Dietrich Kogel, Willibald Schuster, Gerhard Kammacher und Christian Busch. Benkowitz und Kogel stammten aus Weimar (damals Bezirk Erfurt), Schuster und Kammacher kamen aus dem Bezirk Gera, zur Herkunft von Busch liegen keine Informationen vor. Benkowitz und Kogel kannten sich, zwischen den anderen Angeklagten gab es keine persönliche Verbindung. Die Akten zeigen beispielsweise, dass die beiden Angeklagten aus Weimar beispielsweise noch gar nicht im Visier der Staatssicherheit waren als die SED-Führung Anfang 1955 den Schauprozess gegen die „KgU“ vorbreitete. Bei den Verhören gab Benkowitz an, Talsperren und Eisenbahnbrücken für eine Sprengung ausgekundschaftet zu haben, bei Kogel sollte das Sprengkommando unterkommen. Benkowitz widersprach dem Vorwurf, er habe Sprengstoff erhalten. Auch ein in die Zelle eingeschleuster Stasi-Zuträger („Zelleninformator“) konnte keine gegenteiligen Angaben liefern. Die Stasi-Offiziere, die Benkowitz verhörten, und sein Pflichtverteidiger hatten ihm eingeredet, eine umfassende Selbstbezichtigung und Reue könnten ihn vor dem Schlimmsten bewahren. Benkowitz vertraute darauf und spielte somit unwillentlich seinen Anklägern in die Hände. Das Todesurteil gegen ihn stand nach „Vorschlag“ der SED-Oberen schon vor Prozessbeginn fest. Der Angeklagte Kogel sollte ursprünglich zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt werden, diesen „Vorschlag“ aber änderte Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, in eine Verurteilung zum Tode um. Schuster und Busch verurteilte der 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR zu 15 Jahren Zuchthaus, Kammacher erhielt 10 Jahre. Sämtliche Gnadengesuche der zum Tode Verurteilten und ihrer Familienangehörigen blieben erfolglos. Wenige Tage nach Verkündung der Urteile wurden diese in Dresden, mit dem Fallbeil, vollstreckt.

Gerhard Benkowitz und Hans-Dietrich Kogel waren politische Opfer, wohl auch Opfer des Kalten Krieges. Von einem fairen Prozess nach rechtsstaatlichen Maßstäben kann allerdings keine Rede sein, das schloss das Verständnis der SED über die Rolle der „demokratischen Justiz“ als Herrschaftsinstrument von vornherein aus. Beide wurden für Taten verurteilt, die sie zwar geplant, aber nicht begangen hatten, worauf in der Lesung wiederholt hingewiesen wurde. Die Eingriffe der SED-Führung in den Schauprozess bestätigen die Funktion der Willkür in einer Diktatur, die ein abschreckendes Signal zurück in die übrige Gesellschaft sendete. Bemerkenswert bleibt, dass die örtliche Bevölkerung dem Urteil vermutlich eher zustimmend gegenüberstand, was die abschließende Fragerunde thematisierte. Mitte der 1950er Jahre verlor die KgU durch die medienwirksame Propaganda der Schauprozesse auch in der Bundesrepublik zunehmend an Unterstützung. Offen blieb die Frage einer Rehabilitierung der 1955 Verurteilten, die im vergleichbaren Burianek-Prozess (1952) im Jahr 2005 erfolgte.

 

Peter Schwandt

Politikwissenschaftler, Jena

 
 
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