Meldungen des Jahres 2019

Meldung vom 19. Dezember 2019

Zwei neue Ausgaben der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ zu Orten des Gedenkens und Matthias Domaschk erschienen

Ende des Jahres erscheinen gleich zwei Ausgaben der Zeitschrift „Gerbergasse 18“: zum Schwerpunkt Orte des Gedenkens und ein Sonderheft für Matthias Domaschk.
Das Heft 93 schließt den laufenden Jahrgang ab und wirft im Schwerpunkt einen vielschichtigen Blick auf den Umgang mit Gedenkstätten, Museen und Erinnerungsorten. Die Ausgabe enthält unter anderem die Vorstellung des innovativen Modellprojektes DENKOrte, Porträts über das Grenzlandmuseum Eichsfeld und das Grenzmuseum Schifflersgrund, einen Bericht über den Beginn des russischen Gedenkprojektes „letzte Adresse“ in Deutschland oder einen Artikel zur
Frage, wie und warum es mitunter zu Konflikten in der historisch-politischen Vermittlungsarbeit kommt, wenn Zeitzeugen in der Ausstellung sagen: „Das war doch gar nicht so!“. In weiteren Beiträgen der Ausgabe geht es etwa um die Jugendweihe im katholischen Eichsfeld, die Rolle der Botschaftsflüchtlinge im Herbst 1989 in Prag oder eine Rezension über Forschungen zur politischen Traumatisierung durch Repression und Verfolgung in der DDR.
Ein Matthias Domaschk gewidmetes Sonderheft bietet neben Ergebnissen der seit 2015 tätigen Arbeitsgruppe, die den Tod des 23-Jährigen im Stasi-Knast 1981 aufzuklären versucht, viele weitere Beiträge, Essays und Interviews über Matz, wie ihn seine Freunde nannten. Neben vielen Fotos und Dokumenten enthält die Ausgabe auch eine DVD. Die vom Historiker Dr. Henning Pietzsch koordinierte Arbeitsgruppe, unterstützt durch die Thüringer Staatskanzlei, hat intensiv an der Rekonstruktion der Todesumstände in der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit Gera am 12. April 1981 gearbeitet. Sie hat namentlich bekannte Zeugen erneut gesprochen und bisher unbekannte Zeugen ausfindig gemacht und intensiv befragt, verfügbare Quellen und Dokumente in verschiedenen Archiven gesichtet und neu bewertet. Ziel war es, sämtlichen Hinweisen, Widersprüchen und offenen Fragen nachzugehen, die mit dem Tod von
Matthias Domaschk zusammenhängen. Die Sonderausgabe ist aber auch der Versuch, eine Zeit zu befragen, in der Menschen bedrängt, erpresst und eingesperrt wurden, weil sie kritische Fragen stellten, einen eigenen Lebensweg wählten, über die Welt offen diskutierten oder sich frei bewegen wollten.


Die zwei neuen Ausgaben der „Gerbergasse 18“ (Heft 93 und Sonderheft) sind ab sofort im Buchhandel und/oder direkt bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

Inhaltsverzeichnis und Leseproben zum Heft 93 finden Sie hier.

Meldung vom 15. November 2019

Zwei Veranstaltungen: Filmgespräch (20.11.) und Podiumsdiskussion (4.12.) in Jena

Die Geschichtswerkstatt Jena und das Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Matthias Domaschk" laden zu zwei weiteren Veranstaltungen im Rahmen der Reihe "Den aufrechten Gang erlernen": Zivilgesellschaftliche Aufbrüche in Jena 1989/90 ein. Gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

 

1. Film und Gespräch: "30 Jahre Jahre Friedliche Revolution! – Kein öffentliches Interesse?"

Mittwoch, 20. November 2019, 18.00 Uhr, Kino im Schillerhof (Blauer Saal)

Eintritt: 3 € (Platzreservierungen über das Schillerhof-Kino)

Mit den inzwischen 30 Jahren Abstand zum Herbst 1989 bieten sich ganz unterschiedliche Anknüpfungspunkte und Perspektiven: Die historische Rückschau, eine persönliche Bilanz, das gemeinsame Erinnern. Aber was bedeutet "1989" für uns in der Gegenwart und besteht überhaupt noch ein öffentliches Interesse daran?

Bereits zum 10. Jahrestag entstand die filmische Dokumentation "Kein öffentliches Interesse" der Jenaer Filmemacher Torsten Cott und Torsten Eckold, in der sieben AkteurInnen der Friedlichen Revolution aus Jena porträtiert werden. Der 45-minütige Film von 1999 war mehrere Jahre nicht mehr öffentlich zu sehen und ist mittlerweile selbst zu einem Zeitdokument geworden, seine Fragestellung aber bleibt aktuell.

Gemeinsam mit dem Publikum und ProtagonistInnen des Films möchten die Regisseure ins Gespräch kommen: Über den Aufbruch in eine demokratische Gesellschaft, die Folgewirkungen des Umbruchs sowie die unterschiedlichen Lebenswege danach, die oftmals auch als Wegbruch empfunden wurden. Welches öffentliche Interesse also besteht an "1989" – 30 Jahre danach?

Gäste: Conny Bartlau, Christoph Matschie, Harry Zöller (alle Protagonisten im Dokfilm 1999)

Moderation: Torsten Cott, Torsten Eckold

 

2. Zeitzeugenpodium: "Die Stasi verbrennt Akten!" - Das Ende der Staatssicherheit in Jena

Mittwoch, 4. Dezember 2019, 18.00 Uhr, Beratungsraum der Stadtverwaltung, Lutherplatz 3

Eintritt: frei

Der 4. Dezember 1989 war ein Montag. Die Ereignisse dieses Abends markieren für Jena ein besonderes Ereignis während der Friedlichen Revolution. Mutige Menschen überwanden ihre Angst und verlangten Zutritt zum letzten verbliebenen Machtzentrum des untergehenden SED-Regimes: der Kreisdienststelle der Stasi, die sich kurz zuvor von Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannt hatte.

Bestärkt durch parallele Vorgänge in Erfurt und anderen Städten der DDR versammelte sich eine größer werdende Gruppe vor der berüchtigten Stasizentrale in der Gerbergasse, in Sichtweite des Universitätshauptgebäudes. Was geschah in diesem Tag und wie gelang es schließlich, die Geheimpolizei in Jena zu entmachten und eine bereits begonnene Beseitigung und Vernichtung von Stasi-Dokumenten zu stoppen? Gemeinsam mit Zeit- und Augenzeugen soll der Verlauf des Abends nochmals beleuchtet werden.

Das ehemalige Stasi-Gebäude wurde 2008 abgerissen, die Fläche ist inzwischen durch ein städtisches Verwaltungsgebäude überbaut. Den Namen „Gerbergasse 18“ trägt seit 1996 eine durch die Geschichtswerkstatt Jena vierteljährlich herausgegebene Zeitschrift, die um die Aufarbeitung der SED-Diktatur bemüht ist.

Die Veranstaltung findet statt im Rahmen der Reihe " 'Den aufrechten Gang erlernen': Zivilgesellschaftliche Aufbrüche in Jena 1989/90". Die Reihe wird gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Gäste: Hartmut Fichtmüller (Landschaftsgärtner, 1989 Theologiestudent), Markus Heckert (Pfarrer, 1989 Theologiestudent), Jörn Mothes (Referatsleiter im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Mecklenburg-Vorpommern, 1989 Vikar)

Moderation: Daniel Börner (Historiker)

 

Meldung vom 14. Oktober 2019

Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ erschienen: 30 Jahre Friedliche Revolution

Die Rückschau auf die Ereignisse des Herbstes 1989 ist weiterhin geprägt von heftigen Kontroversen und emotionalen Diskussionen. Neben der eher aufgewärmt wirkenden Debatte um den Begriff „Unrechtsstaat“, wird derzeit viel gestritten: über das Erbe der Friedlichen Revolution und wem die Verdienste daran gebühren, über Geschichte als Instrument im Wahlkampf, über die Notwendigkeit einer Ost-Quote, über die Zukunft der Stasi-Akten, über den Stand der inneren Einheit, über alte Klischees und neue Vorurteile oder ob der letzte SED-Vorsitzende ein passender
Festredner am 9. Oktober in Leipzig war.
Auf der anderen Seite bilden die 30 Jahre Abstand eine sichtbare Schwelle: Eine neue Generation – auch von jungen Historikerinnen und Historiker – tritt an und die Zeitzeugen werden anders wahrgenommen, gewisse Archivbestände werden zugänglich oder öffnen sich durch entfallene Sperrfristen, die Bewertung der Epochenzäsur des Jahres 1989 wird erneut vermessen. Dieser komplexe Vorgang wird nicht zuletzt an der Heftigkeit der Debattenbeiträge, der Vielzahl neuer Bücher und Dokumentationen oder der politischen Orientierungssuche nach drei Landtagswahlen in den „neuen Bundesländern“ deutlich.
Geht es dabei nur um das symbolische Erringen der Deutungshoheit oder können wir froh sein über die Vielzahl an Streitobjekten? Schließlich ist die Auseinandersetzung über historische Schlüsselereignisse vor allem Ausdruck und Merkmal einer pluralen Erinnerungs- und Geschichtskultur, nicht ihr Mangel oder eine Krisenerscheinung. Einen Raum für Diskussionen, Austausch und kontroverse Positionen zu schaffen, ist seit Anbeginn das Ziel der Zeitschrift „Gerbergasse 18“. Im vorliegenden Heft reagiert etwa Wolfgang Schuller in einer Replik auf die häufig geäußerte Forderung, die DDR müsse „neu erzählt“ werden. Der Historiker begrüßt ausdrücklich neue Forschungsansätze, warnt aber vor der Tendenz, vor lauter Differenzierung und
Grautönen analytische Kategorien und Begriffe zu verwischen.
In weiteren Heftbeiträgen geht es um die brisante Situation des Urlauberschiffs „Völkerfreundschaft“ während der Kuba-Krise 1962, das Stalin-Trauma der frühen DDR sowie den Olof-Palme-Marsch 1987 in Weimar. In einer Rezension wird das interessante Büchlein von Erdmuthe Antrack besprochen, die 1989 als Studentin hunderte Transparentsprüche der Friedlichen Revolution in Leipzig, Jena und Kahla notierte, die nun gesammelt unter dem Titel „Die Sprache des Volkes“ herauskamen.

Das Inhaltsverzeichnis und einige Leseproben der Ausgabe finden Sie hier.

Die neue „Gerbergasse 18“ (Heft 92) ist ab sofort im Jenaer Buchhandel, an ausgewählten Verkaufsorten (siehe Liste) oder direkt bei der Geschichtswerkstatt erhältlich (schreiben Sie gerne über unser Kontaktformular).

Meldung vom 07. Oktober 2019

Gesellschaft als staatliche Veranstaltung? Orte politischer und kultureller Partizipation in der DDR – Wissenschaftliche Tagung in Jena

Am 10. und 11. Oktober 2019 veranstaltet die Professur für Europäischen Diktaturen-vergleich an der Friedrich-Schiller-Universität Jena gemeinsam mit dem BMBF-Verbund "Diktaturerfahrung und Transformation" und der Stiftung Ettersberg die Wissenschaftliche Tagung  "Gesellschaft als staatliche Veranstaltung? Orte politischer und kultureller Partizipation in der DDR".

Mit der sozialen und kulturellen Herrschaftspraxis in der DDR jenseits der Zentrale hat sich die Forschung lange schwergetan. Seit einigen Jahren setzen sich Historikerinnen und Historiker nun intensiver mit lokalen Herrschaftsverhältnissen auseinander. Mit diesem Ansatz gehen eine Reihe von Fragen einher, die auf der Tagung anhand ausgewählter Projekte diskutiert werden sollen.

Zunächst geht es um konkrete Orte, an denen sich Herrschaft manifestierte. Dabei soll analysiert werden, wie sich politische Aushandlungsprozesse zwischen Stadt, Land und Betrieb gestalteten. In der zweiten Sektion rücken lokale Akteure jenseits der SED in das Blickfeld, von der staatlichen Verwaltung über die Blockparteien bis hin zu den Massenorganisationen. Sie werden nicht nur als (weitere) Herrschaftsträger verstanden, sondern als institutioneller Rahmen, in dem sich Bürger für ihr soziales Nahfeld einsetzten. Eng damit verbunden sind drittens die Handlungsfelder von lokalem Engagement — Traditionspflege, kulturelle Aktivitäten und Schutz der eigenen Umwelt. Die vierte und abschließende Sektion behandelt den Wandel lokaler Partizipationsformen im Zuge des revolutionären Umbruchs 1989/1990.

 

Ort: Großer Rosensaal, Fürstengraben 27, 07743 Jena

Meldung vom 16. September 2019

„Helden wollten wir niemals sein“ – Die Ballonflucht zweier Familien vor 40 Jahren

Vor 40 Jahren, am 16. September 1979, flohen die beiden Thüringer Familien Strelzyk und Wetzel mit einem selbstgebauten Heißluftballon aus der DDR nach Bayern. Zeitzeugin Petra Wetzel sprach in Weimar über die Beweggründe.

Die Frage und das Statement einer Zuschauerin an die Zeitzeugin Petra Wetzel nach der Vorführung des Kinofilms „Ballon“ von Michael „Bully" Herbig, der die wohl spektakulärste Flucht aus der DDR am 16. September 1979 aufzeigt, waren sehr direkt: „Ihre Kinder waren damals bei der Ballonflucht zwei und fünf Jahre alt. Warum haben Sie Ihre kleinen Kinder und sich selbst in solch große Lebensgefahr gebracht, nur um in den Westen zu flüchten ? War das Risiko, dabei abzustürzen, nicht viel zu hoch ? Für mich sind Sie keine Heldin.“

Ballonflucht-Zeitzeugin Petra Wetzel (re.) mit ihrer Jugendfreundin Steffi König bei einer Veranstaltung im April 2019 in Weimar-Schöndorf. Foto: Thomas Purschke

Einen Moment wurde es ganz still in der kleinen Kirche der Evangelischen Gemeinde in Weimar-Schöndorf, Mitte April diesen Jahres. Dann folgte die ruhige Antwort von Petra Wetzel, während der Flucht 24-jährige Mutter der zwei und fünf Jahre alten Jungs Andreas und Peter. „Natürlich sind wir keine Helden. So fühlen wir uns auch keineswegs und solche wollten wir auch nie sein. Mein Mann Günter und auch Peter Strelzyk und seine Frau Doris waren damals vor der Flucht so zuversichtlich, dass alles gut gehen wird. Dieses Gefühl hatten wir irgendwie alle verinnerlicht. Während der 28-minütigen Luftfahrt waren wir voller Adrenalin und extrem angespannt.“
Es seien damals bei dem Versuch, aus der DDR zu flüchten, viele Menschen verstorben oder verletzt worden, zum Beispiel, wenn sie es schwimmend über die Ostsee versuchten oder auf dem Landweg an der Grenze auf eine Mine traten oder die ebenso heimtückischen Selbstschussanlagen auslösten. „Deshalb haben wir alleine schon wegen der Kinder den aus unserer Sicht damals weitaus sicheren Luftweg gewählt.“
Frau Wetzel hatte auf der kleinen Ballon-Gondelplattform, die insgesamt acht Personen tragen musste, ihre beiden Söhne links und rechts im Arm. Einen großen Schreck gab es allerdings schon auf der Startwiese im Wald nahe von Oberlemnitz, das heute ein Stadtteil von Bad Lobenstein ist. Der damals 15-jährige Frank Strelzyk, der beim Kappen einer der vier unter Spannung stehender Seile, an welchen der 28 Meter hohe Ballon vor dem Start fixiert war, einen Erdhering mit voller Wucht gegen den Kopf bekam und stark blutete. „Ich dachte, der Junge stirbt.“, erinnert sich Petra Wetzel.
Zum Glück war es nur eine Platzwunde. In der Luft habe sie mit den Kindern leise einige Lieder gesungen, um sie zu beruhigen. Und die Dunkelheit half auch, die Angst zu minimieren. Der Ballon war zeitweilig in über 2000 Meter Höhe. Mehrmals sei dort das Gas ausgegangen, der Ballon drehte sich und dann sei es schnell hinab gegangen. Sie bekennt, das sie bis heute Höhenangst habe und kaum auf eine Leiter steigen könne. In einem Ballon sei sie nie wieder gefahren.

Ihr Mann Günter hat sich bei der etwas ruppigen Landung des riesigen Ballongefährtes an einem Waldrand, dabei noch einige Baumwipfel streifend, gegen 3 Uhr nachts auf der bayerischen Seite nahe der Stadt Naila, einen Muskelfaserriss zugezogen. Petra Wetzel brach sich beim Landeaufprall einige Zähne ab. Die Kinder blieben zum Glück unverletzt. Wenn sie vorher gewusst hätte, was theoretisch alles hätte passieren können, bei einem selbst gebauten Ballon und ohne praktische Flugerfahrung, dann wäre sie wohl nicht eingestiegen, erklärte sie nun 40 Jahre später.

Es waren beileibe nicht nur politische Gründe, warum wir die Flucht in die Freiheit gewagt haben.“ Die damals mit ihrer Familie in Pößneck lebende Petra Wetzel, hatte einst Pflegeeltern, die sie aus dem Waisenhaus in der DDR holten, als sie zehn Wochen alt gewesen sei. „Meine Pflegemutter ging dann 1974, als ich erwachsen war, auch in den Westen nach Nürnberg, wo meine Schwester wohnte. So hatte ich nach der geglückten Flucht noch zehn Jahre bis zu ihrem Tod, meine Mutti und die Kinder ihre Oma. Weil sie laut den DDR-Behörden ‚nur‘ meine Pflegemutti war, durfte ich sie zuvor in der Bundesrepublik nicht besuchen. Dann bekam sie mehrere Herzinfarkte und ich konnte ihr nicht beistehen. Das war auch ein wesentlicher Grund, warum ich aus der DDR weg wollte.“

In Bayern seien sie alle sehr freundlich aufgenommen worden. Bis auf wenige Ausnahmen. „Einige Tage nach der Flucht kam ein anonymer Brief bei uns an mit Verhüterli und dem Spruch: Damit nicht noch mehr solche Schweine wie ihr auf die Welt kommen !“ Ob die Absender vielleicht West-Spitzel der Stasi waren, von denen es im Raum Hof aktenkundig mehrere gab, lässt sich heute nicht mehr aufklären.
Für das SED-Regime war diese auch von den Westmedien vielfältig publizierte Ballonflucht in die Freiheit eine große Niederlage. Zumal diese ausgerechnet drei Wochen vor dem 30. Jahrestag der Gründung der DDR passierte, wo Staatschef Honecker und Co. wie gehabt die Erfolge beim Aufbau des Sozialismus feiern wollten.

Die DDR-Geheimpolizei schickte ein verwandtes Ehepaar aus Pößneck nach Naila, um die Familie Wetzel wieder in die DDR zurück zu locken unter angeblicher Zusicherung von Straffreiheit. Doch Günter Wetzel verständigte umgehend die Polizei in Franken und warf das Ehepaar aus der Wohnung. Zudem gab es damals auch anonyme Drohungen, die Kinder der Familie Strelzyk im Westen zu entführen. Wie aus zahlreichen Unterlagen der DDR-Staatssicherheit hervorgeht, wurden beide Familien bis zum Fall der Mauer 1989 intensiv beobachtet.  Laut der Stasiaktenbehörde gab es nach der geglückten Ballonflucht der Strelzyks und Wetzels bis 1989 noch 50 weitere Fluchtversuche auf dem Luftweg aus der DDR, darunter auch mit selbstgebauten Ballons. Doch alle scheiterten. Die Stasi hatte ihr Überwachungs- und Spitzel-Netz massiv ausgebaut

Petra Wetzel hat „die Flucht bis heute nicht bereut“. Sie lebt seit einem Jahr getrennt von ihrem Mann in Pegnitz bei Nürnberg und freut sich auf ihren Ruhestand. In den vergangenen Monaten hat sie mehrere Termine im ganzen Land wahrgenommen, um als Zeitzeugin über die Ballon-Flucht faktenreich und äußerst kurzweilig zu berichten. Außerordentlich habe es sie gefreut, dass den Ballon-Kinofilm von Bully Herbig mittlerweile schon über eine Million Menschen gesehen haben. „Es darf einfach nicht vergessen werden, wie die DDR ihre Bürger eingesperrt hat und ihnen viele Menschenrechte verwehrte."

 

Thomas Purschke

Journalist, Steinbach-Hallenberg

 


Roland Jahn und Günter Wetzel (re.) trafen sich am 29. September 2018 zu einem Filmgespräch über "Ballon" in Jena (Kino am Markt). Foto: Thomas Purschke
Meldung vom 02. September 2019

Bürgerfest des Thüringer Geschichtsverbundes am 8. September 2019 in Erfurt (Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße)

Am 8. September 2019 lädt der Thüringer Geschichtsverbund, dem auch die Geschichtswerkstatt Jena angehört, zusammen mit der Stadt Erfurt ab 14 Uhr in die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße zum inzwischen 6. Bürgerfest ein. Unter dem Thema »›Es ist zum Ausreis(s)en!‹ - Die Friedliche Revolution aus Sicht der Geflohenen« stellen sich Vereine, Gedenkstätten, Museen, Archive und Initiativen aus dem Geschichtsverbund auf einem bunten »Marktplatz« vor. Für Kinder gibt es 15.30 und 16.30 Uhr die Gelegenheit, bei einem ›Live-Hörspiel‹ dabei zu sein und zum kreativen Austoben eine Bastelstation.

Zwischen 14 und 17 Uhr gibt es Führungen durch das Haus. Um 16 Uhr spricht Moderatorin Sylka Scholz(Soziologin, Universität Jena) bei der Podiumsdiskussion »Abstimmung per Fuß - die schwere Frage nach Gehen oder Bleiben« mit den Gästen Renate Hürtgen, Jörg Stiehler und Niels Lars Chrestensen.

Ab 18.30 Uhr spielt die fünfköpfige Funkrock-Band FAROUL.

Der Eintritt ist frei.

Die Geschichtswerkstatt Jena wird mit einem gut gefüllten Stand auf dem Bürgerfest vertreten sein und freut sich über zahlreiche interessierte Besucher/innen.

 

Foto oben: Der ›Weiße Kreis‹ in Jena,  1983. Quelle: BStU, MfS, HA XX, Fo, Nr. 211, Bild 2 /
Robert-Havemann-Gesellschaft

Meldung vom 19. August 2019

Neuer Lern- und Denkort „Haus der Weimarer Republik – Forum für Demokratie“ steht für Besucher offen

Im ehemaligen Bauhaus-Museum der Stadt Weimar, direkt gegenüber vom Deutschen Nationaltheater, präsentiert sich seit dem 31. Juli 2019 die bundesweit einzige zentrale Erinnerungsstätte zum Gedenken an die erste Demokratie in Deutschland. Die vom Verein „Weimarer Republik e.V.“ konzipierte Dauerausstellung gibt auf etwa 200 Quadratmetern einen Überblick über die Anfänge der Republik 1919 bis zu ihrem Untergang durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933.

Ein 14-minütiger Eröffnungsfilm bietet zeitgenössische Reflexionen der Ereignisse anhand von Medienstimmen, welche historische Filmaufnahmen kommentierend begleiten. Sequenzen des Filmes werden in der Dauerausstellung in Form von Fotos und Zitaten aufgegriffen und runden so das Gesamtbild ab. Die zweisprachige Ausstellung ermöglicht ausgehend von einem zentralen Zeitstrahl in sechs Themeninseln die tiefergehende Beschäftigung mit der Lebenswirklichkeit in der Weimarer Republik. Rund 80 Exponate verknüpfen den Alltag der Menschen und die neuen Möglichkeiten der „Goldenen Zwanziger“ mit den Krisen und Herausforderungen, vor die sich die junge Demokratie gestellt sah. Die Anordnung von Ausstellungsstücken und zugehörigen Texten über- und unterhalb der Sichthöhe sowie deren Schriftgröße beeinträchtigen zum Teil die Informationsaufnahme. Die Radiohörstation, die inhaltliche Tiefe der Medienstationen und die Texttafeln sowie die Aussagekraft der Exponate und die moderne Gestaltung verleihen der Ausstellung ein Gewicht historischer Authentizität. Der Besucher erhält durch historische Film- und Videoaufnahmen in Kombination mit den gezeigten Objekten und den interaktiven, medialen Inszenierungen die Chance, der Geschichte näher zu kommen. Aufgrund der hohen Informationsdichte kann es jedoch manchem Besucher schwerfallen, sämtliche Eindrücke aufzunehmen.

Die schon jetzt gut besuchte Ausstellung schlägt den Bogen zu heutigen Herausforderungen der Demokratie durch Soziale Medien und Künstliche Intelligenz, Klimawandel und Globalisierung, was jedoch in Teilen zu bemüht und abrupt erscheint. Der Versuch der Verknüpfung dieser Themen mit der Weimarer Republik unterbricht die Kontinuität der Ausstellung, während die Thematisierung der „Weimarer Verhältnisse“ dem Aktualitätsanspruch zugutekommt.

Durch die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Fragen an die Zukunft versteht sich das „Haus der Weimarer Republik“ als ein Forum für Demokratie, wobei der Besucher die Möglichkeit erhält, eigene demokratische Ideen als Diskussionsanregungen zu Papier zu bringen.

Ein Ausstellungsbesuch eignet sich sowohl für Schulklassen als auch für Familien.

Ab 2021 soll die Dauerausstellung durch regelmäßig wechselnde Sonderausstellungen sowie einen Raum für Seminare und Workshops in einem Anbau ergänzt werden. Somit versteht sich das „Haus der Weimarer Republik“ auch als ein Lernort der Demokratie.

 

Leah Haase, Julius und Joseph Kölbel

 

Weitere Informationen: www.weimarer-republik.net

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos (5): Katrin Kölbel

Meldung vom 19. Juli 2019

Neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ zum Schwerpunkt Vergessene Opfer erschienen

Wer gilt wann als Opfer? Und: wer entscheidet eigentlich darüber?

Die neue Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ thematisiert die Schicksale und den Alltag vergessener Opfer(gruppen). Die Beiträge des Heftes erstrecken sich dabei auf beide deutsche Diktaturen im 20. Jahrhundert und reichen bis in unsere Gegenwart.

Gerade in der Frage, wer als Opfer staatlich anerkannt und entschädigt wird, prallen die Befunde der Forschung auf die Erfahrungen der Betroffenen. Am Beispiel des Ende 2018 beendeten „Fonds Heimerziehung“ wird deutlich, dass die als Entschädigung deklarierten Sachersatzleistungen den erlittenen Schaden in den Augen der Antragsteller kaum lindern, sondern oft erneut stigmatisieren. Die langjährigen Verfahren in Behörden und vor Gerichten erzeugen nicht selten eine zweite Leidensgeschichte. Doch der Kampf mit Antragsfristen und Rehabilitierungsverfahren ist auch heute noch, 30 Jahre nach Ende der DDR, für viele Menschen Realität – nicht wenige haben inzwischen aufgegeben. Für Betroffene geht es aber um weit mehr als „nur“ um materielle Aspekte: Sie wollen sich nicht ein Leben lang in die Rolle des Opfers drängen lassen, sie möchten selbstbestimmt und Handelnde ihrer Biografie sein.

Am Beispiel des Durchgangsheims Schmiedefeld bei Neuhaus stellt der als Künstler und Kurator tätige Manfred May seine Forschungen zur Heimerziehung in der DDR vor. Parallel erscheint die von ihm herausgegebene Buchreihe „edition H“, die Selbstzeugnisse ehemaliger Heimkinder sammelt: nüchtern, eigen, unpathetisch, verstörend. Die sozialen Benachteiligungen und erheblichen Spätfolgen bei vielen Betroffenen zeigen, dass zerstörte Biografien nicht mehr repariert werden können. Einige Überlebende finden aber durch künstlerische Mittel einen Weg der Verarbeitung, wie May in seinem Text erläutert.

Weitere Beiträge des Heftschwerpunktes beleuchten die politische Verfolgung der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen, die zweifache Enteignung eines jüdischen Hotelbesitzers in Binz auf Rügen, den Kampf mosambikanischer Vertragsarbeiter („Madgermanes“ genannt) um durch die DDR einbehaltene Lohnanteile, die Suche nach in Speziallagern und Gefängnissen der Nachkriegszeit geborenen Kindern sowie die behördliche Ausweisung von als „asozial“ stigmatisierten Personen aus dem Wismutgebieten Anfang der 1950er Jahre.

 

Das Inhaltsverzeichnis und Leseproben des Heftes finden Sie hier.

Die neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 91) ist ab sofort im Buchhandel oder direkt bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

Meldung vom 01. Juli 2019

Aufruf an unsere Crowd: Helft uns mit Eurer Spende bei die Herausgabe einer Sonderausgabe der "Gerbergasse 18"

Im Herbst 2019 möchte die Geschichtswerkstatt Jena ein Sonderheft der Zeitschrift "Gerbergasse 18" herausbringen. Darin sollen Ergebnisse und Befunde der seit 2015 tätigen unabhängigen Arbeitsgruppe zum Tod von Matthias Domaschk, der 1981 in Räumen des Stasi-Gefängnisses von Gera umkam, vorgestellt werden. Aber auch Beiträge von Freunden und Weggefährten sowie unbekannte Fotos, Dokumente und ein Film als Beilage werden in der Ausgabe enthalten sein.

Für die Herausgabe suchen wir noch eine stabile Finanzierung und bitten die Crowd, also Euch alle, um etwas Unterstütung. Über das neue Portal JENA CROWD gibt es eine optimale Möglichkeit, Ideen und Projekte durch viele Menschen zu unterstützen. Das Besondere daran: Bei einem Spendenbetrag ab 10 Euro erhöhen die Stadtwerke Jena den Betrag um weitere 10 Euro. Allerdings können wir das Spendengeld am Ende nur verwenden, wenn die Zielsumme erreicht wird.

Hier geht es zu unserer Projekt-Seite: www.jena-crowd.de/matthias-domaschk

Die Crowdfunding-Aktion läuft (nur) bis zum 18. Juli – wir freuen uns über jeden Betrag.

Und: Natürlich bekommt Jede/r, der uns unterstützt, im Herbst ein gedrucktes Sonderheft von uns zugeschickt. Als Bonus für alle Interessierten sind auch eine Reihe von reizvollen Prämien eingestellt – bis der Vorrat reicht.

Meldung vom 14. Juni 2019

Zeitschrift „Gerbergasse 18“ mit einem Sonderpreis des Karl-Wilhelm-Fricke-Preises 2019 ausgezeichnet

Gruppenbild zum Karl-Wilhelm-Fricke-Preis 2019 mit allen Preisträgern und der Jury.

Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung

Am 13. Juni wurde die Zeitschrift „Gerbergasse 18. Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik“ mit einem Sonderpreis des Karl-Wilhelm-Fricke-Sonderpreises 2019 ausgezeichnet. Die Laudatio hielt der Schriftsteller Marko Martin. Zwei weitere Sonderpreise gingen an den Politiker Hartmut Büttner sowie an die Autorin Ines Geipel, den Hauptpreis erhielt die Initiative Geschlossener Jugendwerkhof Torgau.

Im Folgenden dokumentieren wir die Dankesrede des Vorstandsvorsitzenden der Geschichtswerkstatt Jena, Dr. Henning Pietzsch.

Im Namen der Geschichtswerkstatt Jena danke ich der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, dem Preisstifter Dr. Burkhart Veigel und der Jury für die Nominierung und Anerkennung des Karl-Wilhelm-Fricke-Sonderpreises an die Redaktion unserer Zeitschrift „Gerbergasse 18“.

Dieser Preis bedeutet für uns Auszeichnung und Förderung zugleich – und: er macht uns stolz.

Ohne weitere Förderer wäre unsere Arbeit jedoch in dem Umfang kaum möglich. Unterstützung für das Projekt „Gerbergasse 18“ erhalten wir neben der Bundesstiftung Aufarbeitung auch von:

- der Thüringer Staatskanzlei

- dem Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

- der Stadt Jena

Schon im vergangenen Jahr stellte Dr. Robert Grünbaum, stellvertretender Geschäftsführer der Bundesstiftung Aufarbeitung, in einem MDR-Interviev zum 20. Jahrestag des Bestehens der Bundesstiftung auf die Frage „Gibt es Leuchtturmprojekte, zu denen die Bundesstiftung viel beigetragen hat?“ heraus: „Wir haben die Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin maßgeblich unterstützt – das herausragende, unabhängige Archiv zur Oppositionsgeschichte der DDR. Das könnte ohne die Bundesstiftung nicht existieren. Außerdem wird die Umweltbibliothek Großhennersdorf von uns seit vielen Jahren regelmäßig unterstützt. Auch die Geschichtswerkstatt Jena und die dort herausgegebene Zeitschrift Gerbergasse zählt zu unseren wichtigen Förderprojekten.“

Aber auch zum Preisstifter hat die Zeitschrift eine Verbindung. Unser Autor Thomas Purschke schrieb schon 2013 über ihn und seine dramatische, gefährliche und abenteuerliche Fluchthelfergeschichte einen Beitrag mit dem Titel „Mit einem Cadillac in die Freiheit: Wie Burkhart Veigel DDR-Flüchtlinge in den Westen holte." (in: Gerbergasse 18, Heft 69, Ausgabe 4/2013). Burkhart Veigel verhalf zwischen 1964 und 1967 rund 200 Menschen zur Flucht aus der DDR.

Besonderer Dank gilt an einem solchen Tag aber vor allem den bisherigen und aktuellen Mitarbeitern der Redaktion, momentan Daniel Börner und Katrin Sauerwein. Ohne ihr großes Engagement wären viele Aufgaben unseres Vereins kaum umsetzbar. Dank gilt auch Sonja Kalmanfi, die seit dem Jahr 2012 Satz und Layout der Zeitschrift betreut.

Ebenfalls Dank gebührt dem ehrenamtlichen Vorstand (neben mir Torsten Eckold und Stefan Walter) und den Mitgliedern des Vereins Geschichtswerkstatt Jena. Sie alle leisten und/oder unterstützen die Arbeit sowie die Projekte unseres Vereins.

Zwei ehemalige Projektmanager waren zugleich Stipendiaten der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Dr. Michael Ploenus (2006–2007) und Dr. Henning Pietzsch (2007–2012).

Alle ehemaligen und aktuellen Projektmanager und Mitarbeiter seit 2006 waren/sind wissenschaftlich ausgebildet und wirken im heutigen Vorstand des Vereins mit. Sie bilden das Rückrat der Vereinsarbeit. Das verdeutlicht den eigenen Anspruch unserer Vierteljahresschrift und zeigt die Bindungskraft an den Verein. Mit ihnen allen ist ein Generationenwechsel gelungen und eine Professionalisierung der Arbeit erreicht worden.

Kurz erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang an Manfred Wagner, unser ehemaliges Vorstandsmitglied, der 2011 verstarb. Er wurde schon 2009 von der Bundesstiftung Aufarbeitung für sein jahrelanges ehrenamtliches Engagement geehrt. Ohne ihn wäre ein späterer Übergang der Vereinsleitung an eine neue Generation nicht möglich gewesen.

Die Geschichtswerkstatt Jena bedeutet zugleich mehr als „nur“ unsere Zeitschrift „Gerbergasse 18“. Sie bedeutet zugleich intensive Bildungsarbeit (etwa seit drei Jahren mit dem Projekt „Blickpunkt Mensch“), die langjährige Reihe Zeitzeugenwerkstatt, ein Praktikantenprogramm, regelmäßige Drittmittelprojekte, lokale Kooperationen und zivilgesellschaftliche Verankerung bzw. Vernetzung – regional wie überregional.

Dank gilt nicht zuletzt den vielen Autorinnen und Autoren , aber auch den zahlreichen Abonnenten unserer Zeitschrift – sowie unserer kritischen Leserschaft, national wie international. Sie sind der wohl wichtigste Teil des Erfolges unserer Zeitschrift. Ihnen allen meinen/unseren herzlichen Dank! Wir freuen uns auf die weitere erfolgreiche Zusammenarbeit mit allen Förderern, Autoren und Lesern.

Haben Sie Fragen, Anregungen oder möchten sich ehrenamtlich im Verein engagieren, unsere Arbeit begleiten oder konkrete Projekte durch Spenden unterstützen, dann nehmen Sie gern mit unserem Vereinsbüro Kontakt auf.

Übrigens: Ein Jahresabo der „Gerbergasse 18“ kostet kleine 14 € für vier Hefte inklusive Versand (jederzeit kündbar). Ein Komplettsatz mit allen noch lieferbaren Ausgaben ist für 50 € (inkl. Versand) erhältlich.

Vorstandsvorsitzender Dr. Henning Pietzsch (re.) und die aktuelle Redaktion der „Gerbergasse 18“, Katrin Sauerwein und Daniel Börner (li.).

Foto: Bundesstiftung Aufarbeitung

Meldung vom 04. Juni 2019

4. Juni 1989: Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking vor 30 Jahren

Vor 30 Jahren: Am 4. und 5. Juni 1989 beendete ein Massaker in Peking im Umkreis des Platzes des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) die zaghafte Demokratiebewegung. Bis heute werden die Ereignisse in China tabuisiert und eine Aufarbeitung gezielt verhindert.

Laut aktuellen Aussagen des chinesischen Verteidigungsminsters Wei Fenghe habe die Regierung den „Zwischenfall“ damals „korrekt gehandelt“ und so für „Stabilität und Entwicklung“ des Landes gesorgt. Seit April 1989 kam es zu landesweiten Demonstrationen für Freiheit und Demokratie gegen das autoritäre Regime. Zentrum und Symbol der Proteste war der Tiananmen-Platz, wo sich vor allem Studenten zu Streiks und Demonstrationen versammelten. Die genaue Anzahl von Opfern und Verletzten ist bis heute unbekannt. Auch in der Gegenwart berichten Menschenrechtsorganisationen von Repressalien gegen Beteiligte, Augenzeugen oder deren Verwandte, die oft unter Überwachung oder Hausarrest stehen, um den Kontakt mit unliebsamen Journalisten und eine Berichterstattung zu verhindern.

Im Sommer 1989 kam es zu offiziellen Solidaritätsbekundungen der DDR-Volkskammer mit den Genossen in Peking. Gegen die vertuschende Berichterstattung und Befürwortung von Gewalt seitens des SED-Regimes regte sich lokal Widerspruch, auch aus Angst vor einer "Chinesischen Lösung" – dem Einsatz von Gewalt gegen Massenproteste, die im Herbst 1989 real war.

Ein Plakat von Jürgen Seifert, entworfen und gedruckt im Juni 1989, protestiert gegen die nachrichtliche Verharmlosung und Verfälschung der Situation in Peking durch die monotone DDR-Presse. Im Juli 1994 wurde das Plakat durch Pfarrer Michael Kleim reaktiviert, als Li Peng, als Premierminister verantwortlich für die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes 1989, auf Staatsbesuch in Thüringen weilte. Konfrontiert mit den friedlichen, aber lautstarken Protesten der Bürger gegen ihn, brach er in Weimar seinen Aufenthalt ab.

In der nächsten Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 91) werden wir das eindrucksvolle Protestplakat von Jürgen Seifert zeigen, um an die Ereignisse in Peking 1989 zu erinnern.

Meldung vom 18. April 2019

Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ zum Schwerpunkt Ost-Moderne erschienen

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ widmet sich im Schwerpunkt der sogenannten „Ost-Moderne“. Das architektonische Pendant zur westeuropäischen Nachkriegsmoderne ist bis heute prägend in vielen ostdeutschen Städten und teilweise schon unter Denkmalschutz gestellt. Neben einem illustrierten Überblick zur Bau- und Planungsgeschichte der DDR bietet das Heft Einblicke in die Biografie des Städteplaners Egon Hartmann, der als Urbanist in Ost und West wirkte. Als Architekt war Hartmann verantwortlich für das 1951 eingeweihte Verwaltungshochhaus in Erfurt. Ein anderer Baustein der Ost-Moderne in Thüringen ist das Ende der 1980er Jahre fertiggestellte Schiller-Museum in Weimar, wie der seinerzeit beteiligte Architekt Jürgen Beyer im Interview erläutert.

Gerade im Jubiläumsjahr des Bauhauses ist der Bezug zu Fragen nach bezahlbarem Wohnraum und innovativen Wohnkonzepten nicht nur eine historische oder museale Folie, sondern eine direkte Gegenfrage an unsere Gegenwart: Wie modern baute man im Osten und was können wir heute daraus ableiten? Wie vielfältig der Umgang mit dem Erbe der DDR-Architektur aussehen kann, zeigt etwa der Rückblick auf ein Kunstfestival in Leipzig-Grünau. Auch in Jena ist vom 2. bis 5. Mai mit dem „72 Hour Urban Action“ in Lobeda ein Echtzeit-Architektur-Wettbewerb der besonderen Art geplant, der im Heft vorgestellt wird.

Die übrigen Beiträge der Ausgabe befassen sich mit geheimen Urlaubsobjekten der Stasi im Ferienort Masserberg, dem Heavy Metal in der DDR oder der sprachlichen Spurensuche zum ambivalenten Begriff „Mitteldeutschland“. Mit dem kontroversen Essay „DDR neu erzählen“ wird die gegenwärtige Erinnerungspolitik kritisch beleuchtet und etablierte Deutungs- und Erzählmuster hinterfragt. Ein weiterer Artikel erklärt anhand von Beispielen der virtuellen Rekonstruktion zerrissener Stasi-Akten die Relevanz der „Schnipsel-Maschine“, die in einem Modellprojekt mittels Scantechnologie Millionen von Papierfetzen lesbar zusammensetzt. Im konkreten Fall wird gezeigt, wie Oppositionelle in den 1980er Jahren auf Festnahmelisten der Geheimpolizei gesetzt wurden.

Die neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ (Heft 90) ist ab sofort im Buchhandel und bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

Eine Inhaltsübersicht und Leseproben der Ausgabe finden Sie hier.

Meldung vom 02. April 2019

Neuer Vereinsvorstand der Geschichtswerkstatt Jena gewählt

Nach der Mitgliederversammlung am 29. März 2019 hat ein neu gewählter Vorstand seine  Arbeit aufgenommen. Im Bild (v.r.n.l.): Dr. Michael Ploenus (Kassenprüfer), Stefan Walter (Beisitzer), Torsten Eckold (stellv. Vorsitzender u. Schatzmeister), Dr. Henning Pietzsch (Vorsitzender), Daniel Börner (Beisitzer). Foto: Katrin Sauerwein
Der GWS-Vorstand dankt für das Vertrauen der Mitglieder und freut sich auf die neue Amtszeit mit zahlreichen Vereinsaktivitäten und -projekten.

Meldung vom 27. März 2019

„Den aufrechten Gang erlernen“ – Zivilgesellschaftliche Aufbrüche in Jena 1989/90. Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe des Thüringer Archivs für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ und der Geschichtswerkstatt Jena

Demonstration am 4. November 1989 in Jena. Fotograf: Dieter Urban

 

Mit dem Thema „‚Den aufrechten Gang erlernen‘ – Zivilgesellschaftliche Aufbrüche in Jena 1989/90“ fragt die Veranstaltungsreihe 2019 danach, wie sich die Umbrüche seit dem Herbst 1989 auf lokaler Ebene auswirkten. Der Schriftsteller Stefan Heym zitierte während der Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Ostberliner Alexanderplatz aus einem Brief an ihn: „Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen.“

Den aufrechten Gang übten BürgerInnen der Stadt Jena, indem sie gesellschaftliche Entwicklungen „von unten“ anstießen und voranbrachten. Es handelte sich um zivilgesellschaftliche Aufbrüche in unterschiedlichen Teilbereichen der Gesellschaft: im Bildungswesen, in den Betrieben, in der Presselandschaft. Im Fokus stehen dabei die Emanzipation Einzelner und von Gruppen, die die herrschenden Machtverhältnisse
offen infrage stellten und zur Einforderung des Rechtes auf Mitgestaltung der Gesellschaft aufriefen.
Mehrere Zeitzeugenpodien, eine Performance und eine Filmvorführung widmen sich den vielen kleinen Schritten auf diesem Weg in Form einer Rückschau nach 30 Jahren Friedlicher Revolution. Der Eintritt zu allen Podiumsveranstaltungen und der Performance ist frei.
Die Veranstaltungsreihe findet im Rahmen des Programms „89//19: Wegbruch – Aufbruch – Umbruch. Jena und die Revolution(en) von 1989“ statt und wird mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Kooperationspartner sind JenaKultur, die Freie Bühne e. V. und der evangelisch-lutherische Kirchenkreis Jena.


1. Podium: „Wir brauchen keine Folgsbildung!“ – Jenaer Schulen im Umbruch
Gäste: Gisela John, Frank Schenker, Rüdiger Schütz / Moderation: Dr. Matias Mieth
Ort: Mensa der Integrierten Gesamtschule „Grete Unrein“, August-Bebel-Straße 1, 07743 Jena
Termin: Donnerstag, 28. März 2019, 19.00 Uhr


2. Podium: Betriebliche und gewerkschaftliche Aufbrüche in Jena
Gäste: Jörg Auweiler, Jürgen Dömel, Frank Günther / Moderation: Dr. Renate Hürtgen
Ort: Volkshaus (Raum 10), Carl-Zeiß-Platz 15, 07743 Jena
Termin: Montag, 15. April 2019, 19.00 Uhr


3. Podium: „Wir Journalisten sind jetzt sehr aufgeklärt“ – Die Transformation des Pressewesens am Beispiel von TLZ und OTZ
Gäste: Lutz Prager, Thomas Stridde / Moderation: Katrin Tominski
Ort: Stadtmuseum Jena, Markt 7, 07743 Jena
Termin: Donnerstag, 16. Mai 2019, 19.00 Uhr


4. Performance der Freien Bühne e. V.: „Eine Hoffnung lernt gehen“: Christliche Anstöße für die Friedliche Revolution
Ort: Stadtkirche St. Michael, Kirchplatz 1, 07743 Jena
Termin: Freitag, 25. Oktober 2019, 19.00 Uhr


5. Podium: „Wir bleiben hier!“ – Bürgerbewegungen und neue Parteien in Jena
Gäste: Stephan Schack, Dr. Friederike Spengler, Dr. Hildegund Storch / Moderation: Michael Dorsch
Ort: Haus auf der Mauer, Johannisplatz 26, 07743 Jena
Termin: Samstag, 26. Oktober 2019, 13.30 Uhr (im Rahmen des 9. Tages der Stadtgeschichte)


6. Film & Gespräch: 30 Jahre Friedliche Revolution! – Kein öffentliches Interesse?
Gäste: Torsten Cott, Torsten Eckold
Ort: Kino im Schillerhof, Helmboldstraße 1, 07749 Jena
Termin: Mittwoch, 20. November 2019, 18.00 Uhr


7. Podium: „Die Stasi verbrennt Akten!“ – Das Ende der Staatssicherheit in Jena
Gäste: Hartmut Fichtmüller, Markus Heckert, Jörn Mothes / Moderation: Daniel Börner
Ort: Beratungsraum Stadtverwaltung, Lutherplatz 3, 07743 Jena
Termin: Mittwoch, 4. Dezember 2019, 18.00 Uhr

Meldung vom 12. März 2019

Die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ im Spiegel von Stasi-Akten. Eindrücke einer BStU-Veranstaltung in Gera

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Aufgegriffen: Geschichten aus den Stasi-Akten“ der BStU-Außenstelle Gera fand am 6. März 2019 eine Lesung zum Thema „Die Stasi und die ‚Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit’ (KgU)“ statt. Die Veranstaltungsreihe verbindet jeweils eine Führung durch das Archiv der ehemaligen Bezirksverwaltung Gera des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), zu der elf Kreisdienststellen gehörten, mit einem zeithistorisch interessanten Fall aus dem eigenen Aktenbestand. Im Mittelpunkt stehen „regionale Begebenheiten und Ereignisse, die einen Eindruck der Vielfalt der überlieferten Akten vermitteln“. Die überlieferten MfS-Akten in Gera haben eine Länge von über vier Regalkilometern.

In dieser Hinterlassenschaft befinden sich auch jene 33 Aktenbände zum Schauprozess gegen fünf Thüringer „Agenten“ der „KgU“, die im Juni 1955 vor dem Obersten Gericht der DDR in Ost-Berlin standen. Der massive Einfluss der Stasi als geheimpolizeiliches Ermittlungs-, Untersuchungs- und Haftorgan ist hier ausführlich dokumentiert. Eine Sachbearbeiterin der BStU-Außenstelle hatte sich des Themas angenommen und legte ihre Forschungsergebnisse mit eindrücklichen Zitatpassagen vor, ergänzt durch Tonaufnahmen der damaligen Gerichtsverhandlung im „demokratischen Rundfunk“ der DDR. Am konkreten Fall wurde so das Wechselverhältnis zwischen Staatssicherheit, Justiz, Öffentlichkeit und Propaganda sowie die zentrale Rolle der SED-Führung bei der Ausrichtung, Anleitung und Urteilsfindung des Schauprozesses deutlich.

Was aber war die „KgU“ überhaupt? Im Jahr 1948 in West-Berlin gegründet und mit einer Lizenz der Alliierten Kommandantur als politische Organisation versehen, agierte sie als militant eingestellte Vereinigung kompromissloser Gegner des SED-Regimes. Von West-Berlin aus unterstützten ihre Mitglieder den Widerstand gegen die SED-Diktatur in der DDR. Ursprünglich mit der Wahrnehmung eines Suchdienstes für in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) verschleppte Gegner des kommunistischen Systems betraut, durchlief die „KgU“ im Kampf gegen einen radikalen Gegner während des Kalten Krieges selbst einen Radikalisierungsprozess. Anfangs wurde mit der Verteilung von Flugblättern und illegalen Druckerzeugnissen, der Anbringung von Widerstandsparolen („F“-Kampagne), der Werbung für die Wiedervereinigung, dem Verschicken von Drohbriefen oder der Agitation gegen die Rote Armee zivilgesellschaftlicher Widerstand organisiert. Später wurde der Protest durch zusätzliche Widerstandsformen gezielt beschleunigt. Etwa durch Sabotageaktionen, Spionage, administrative Störungen, versuchte Brandstiftungen oder die geplante Sprengungen von Eisenbahnbrücken, Talsperren und Hochleitungsmasten. Die Versuche der „KgU“ zur Destabilisierung des SED-Regimes bieten ein widersprüchliches Erscheinungsbild, wie die Referentin in ihren Ausführungen darlegte. Dieser Eindruck verstärkt sich, weil auch zivile Opfer bei den „KgU“-Aktionen einkalkuliert waren. Die SED führte bereits seit 1952 eine massive Propagandakampagne gegen die „KgU“, die ab Mitte 1953 in der Aktion „Konzentrierte Schläge“ unter Federführung des MfS mündete. Der Schauprozess im Juni 1955 war letztlich das Ergebnis jener Stasi-Aktion. Verhaftet und angeklagt als „gewissenlose Handlanger der KgU“ waren Gerhard Benkowitz, Hans-Dietrich Kogel, Willibald Schuster, Gerhard Kammacher und Christian Busch. Benkowitz und Kogel stammten aus Weimar (damals Bezirk Erfurt), Schuster und Kammacher kamen aus dem Bezirk Gera, zur Herkunft von Busch liegen keine Informationen vor. Benkowitz und Kogel kannten sich, zwischen den anderen Angeklagten gab es keine persönliche Verbindung. Die Akten zeigen beispielsweise, dass die beiden Angeklagten aus Weimar beispielsweise noch gar nicht im Visier der Staatssicherheit waren als die SED-Führung Anfang 1955 den Schauprozess gegen die „KgU“ vorbreitete. Bei den Verhören gab Benkowitz an, Talsperren und Eisenbahnbrücken für eine Sprengung ausgekundschaftet zu haben, bei Kogel sollte das Sprengkommando unterkommen. Benkowitz widersprach dem Vorwurf, er habe Sprengstoff erhalten. Auch ein in die Zelle eingeschleuster Stasi-Zuträger („Zelleninformator“) konnte keine gegenteiligen Angaben liefern. Die Stasi-Offiziere, die Benkowitz verhörten, und sein Pflichtverteidiger hatten ihm eingeredet, eine umfassende Selbstbezichtigung und Reue könnten ihn vor dem Schlimmsten bewahren. Benkowitz vertraute darauf und spielte somit unwillentlich seinen Anklägern in die Hände. Das Todesurteil gegen ihn stand nach „Vorschlag“ der SED-Oberen schon vor Prozessbeginn fest. Der Angeklagte Kogel sollte ursprünglich zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt werden, diesen „Vorschlag“ aber änderte Walter Ulbricht, Erster Sekretär des ZK der SED, in eine Verurteilung zum Tode um. Schuster und Busch verurteilte der 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR zu 15 Jahren Zuchthaus, Kammacher erhielt 10 Jahre. Sämtliche Gnadengesuche der zum Tode Verurteilten und ihrer Familienangehörigen blieben erfolglos. Wenige Tage nach Verkündung der Urteile wurden diese in Dresden, mit dem Fallbeil, vollstreckt.

Gerhard Benkowitz und Hans-Dietrich Kogel waren politische Opfer, wohl auch Opfer des Kalten Krieges. Von einem fairen Prozess nach rechtsstaatlichen Maßstäben kann allerdings keine Rede sein, das schloss das Verständnis der SED über die Rolle der „demokratischen Justiz“ als Herrschaftsinstrument von vornherein aus. Beide wurden für Taten verurteilt, die sie zwar geplant, aber nicht begangen hatten, worauf in der Lesung wiederholt hingewiesen wurde. Die Eingriffe der SED-Führung in den Schauprozess bestätigen die Funktion der Willkür in einer Diktatur, die ein abschreckendes Signal zurück in die übrige Gesellschaft sendete. Bemerkenswert bleibt, dass die örtliche Bevölkerung dem Urteil vermutlich eher zustimmend gegenüberstand, was die abschließende Fragerunde thematisierte. Mitte der 1950er Jahre verlor die KgU durch die medienwirksame Propaganda der Schauprozesse auch in der Bundesrepublik zunehmend an Unterstützung. Offen blieb die Frage einer Rehabilitierung der 1955 Verurteilten, die im vergleichbaren Burianek-Prozess (1952) im Jahr 2005 erfolgte.

 

Peter Schwandt

Politikwissenschaftler, Jena

Meldung vom 15. Januar 2019

Neue Ausgabe der „Gerbergasse 18“ zum Schwerpunkt Medien und Macht erschienen

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Gerbergasse 18“ widmet sich dem vielfältigen Spannungsfeld zwischen Medien und Macht. Das Titelthema enthält unter anderem einen biografischen Essay über die Gallionsfigur der DDR-Medien: Karl-Eduard von Schnitzler (1918–2001). Vor allem bekannt als Protagonist der Sendung „Der Schwarze Kanal“, die zwischen März 1960 bis Ende Oktober 1989 im Fernsehen der DDR ausgestrahlt wurde. Der renommierte Historiker Gunter Holzweißig, der Schnitzlers Leben intensiv erforschte, zeichnet ein vielschichtiges Porträt des einstigen Chef-kommentators, dessen Widersprüchlichkeit in der Überschrift „Agitator und Bourgeios“ zum Ausdruck kommt. Der Leser erfährt im Artikel aber auch mehr über den Ursprung der Schmähung „Sudel-Ede“, zu Schnitzlers letztlich erfolgloser Strategie im Herbst 1989 und wie er seinen Lebensabend als streitlustiger Politrentner verbrachte.

Weitere Beiträge beleuchten das dichte Beziehungsgeflecht aus Kommunikation, Zensur und Berichterstattung anhand von konkreten Fällen: die linguistische Fahndungshilfe durch Wissenschaftler mittels Schriftgutachten und Stimmanalysen anonymer Anrufer für das Ministerium für Staatssicherheit, quellenkritische Fragen an das gerettete Bildarchiv eines Pressefotografen in Saalfeld, die weitreichenden Auswirkungen des sogenannten „Sputnik-Verbotes“ 1988 an einer Jenaer Schule sowie die kaum bekannten ausländerfeindlichen Ausschreitungen gegen algerische Vertragsarbeiter im August 1975 in Erfurt.

In den zusätzlichen Heftrubriken informieren weitere Texte aus Zeitgeschichte und Zeitgeschehen. Etwa über den Post- und Paketverkehr als Spiegelbild der deutsch-deutschen Teilung, die Legendenbildung um den Tod des Erfurter Kommunisten Paul Schäfer, die Rolle der Widerstandskämpferin Greta Kuckhoff oder den Ablauf einer einzigartigen Jugendversammlung in Gotha im Vorfeld der Friedlichen Revolution. Abschließend zeigt eine Filmrezension über die neuen Produktionen „Gundermann“ und „Ballon“, wie innovativ und differenziert DDR-Geschichte inzwischen filmisch erzählt und inszeniert werden kann.

 

Das Inhaltsverzeichnis und Leseproben finden Sie hier.

 

Die Ausgabe 4/2018 der „Gerbergasse 18“ (Heft 89) ist ab sofort im Buchhandel und direkt bei der Geschichtswerkstatt Jena erhältlich.

 
 
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