Meldungen des Jahres 2023

Meldung vom 29. September 2023

„Der große Schwof“ im Stadtmuseum Jena. Eine Ausstellungsrezension

„Der Große Schwof. Feste feiern im Osten“ heißt die Fotoausstellung, die seit dem 1. Juli in der Jenaer Kunstsammlung im Stadtmuseum zu sehen ist. „Schwofen war der Begriff für Tanzen gehen, Rumhängen, miteinander sein, Singen, Essen, Saufen, Sex haben. Also alles das, was meistens am Wochenende stattfand: der große Schwof", erzählt die Fotografin und Kuratorin der Ausstellung, Petra Göllnitz, im Interview mit dem MDR. Gezeigt werden Fotografien von 31 professionellen Fotografinnen und Fotografen, die in der DDR wirkten und auf sehr unterschiedliche Weise die damalige Fest- und Feierkulturen einzufangen versuchten. Auf über 300 gezeigten Fotografien wird ein buntes und diverses Bild des Feierns im SED-Staat präsentiert. Zu sehen gibt es großformatige Prints von Feiern und feiernden Menschen zu den unterschiedlichsten Anlässen. Das fotografisch abgebildete Themenspektrum reicht dabei von Punk-Partys über Faschingsfeiern, Hochzeiten, Dorffeste bis hin zu offiziellen staatlichen Feiern wie dem Turn- und Sportfest in Leipzig 1987 oder dem DDR-Nationalfeiertag am 7. Oktober in einem Seniorenheim. Insbesondere den Fotografien von privaten Feierlichkeiten wird dabei viel Platz eingeräumt.
Die Fotografinnen und Fotografen werfen so einen facettenreichen Blick auf die Gesellschaft und das Feiern vor 1990. Dies führt dazu, dass die Ausstellung nicht nur eine einzige Erzählung über die DDR ermöglicht, sondern eine breite, vielschichtige Geschichte des Alltags vermittelt. Dreh- und Angelpunkt ist das titelgebende „das Schwofen“ – ein im Osten gebräuchlicher Ausdruck für das ausgelassene Tanzen.
Der Leipziger Fotograf Ludwig Rauch veranschaulicht durch seine Bilder, wie die Fasson des Sozialismus im diffusen Licht verqualmter nächtlicher Tanzlokale zu verschwimmen beginnt. Die Erzählung von den Freiräumen in der sozialistischen Diktatur zieht sich in gewisser Weise durch die gesamte Ausstellung. Doch sind diese nicht ausschließlich fernab der offiziellen Feste zu finden, wie Harald Hirsch mit seinen Bildern zu zeigen vermag oder auch Jens Rotsch mit seinen Aufnahmen des Leipziger Turn- und Sportfests. Bedrückend leicht kommen die Bilder von Barbara Metselaar Berthold daher. Die von ihr abgelichteten Szenen einer Abschiedsfeier in Ost-Berlin lassen nicht erahnen, dass sich die gezeigten Personen wenig später voneinander verabschiedeten werden, in der Erwartung, nie wieder gemeinsam im selben Land leben zu können, weil ihre Ausreise aus der DDR genehmigt wurde. Harald Hauswalds Kneipenszenen gelingt es durch die sich bewegenden Körper, die unkontrollierte Dynamik des Alkoholrauschs und des wilden Feierns sichtbar zu machen. In einem kleinen Vorführraum werden zudem kurze Interviewsequenzen mit den Künstler:innen abgespielt, in denen diese zu ihren Werken, aber auch über ihre eigene Vergangenheit Interviewt werden. Diese Hintergrundgespräche sind aber auch online nochmals zu sehen.

Obwohl überwiegend schwarz-weiß Fotografien gezeigt werden, wirken diese oft so dynamisch, so lebendig, dass sie quasi als farbig bezeichnet werden könnten. Die angewendete Bildsprache zeigt nicht selten überbelichtete und verschwommene Szenen von tanzenden, feiernden Menschen. Gerade durch diese Ästhetik – amateurhaften Partyfotos nicht unähnlich – wirken viele Ausstellungsfotos auch nach über 30 Jahren nah und lebendig. Die sich drehenden, tanzenden Menschen scheinen nicht still zu stehen, und so ist es fast, als höre man den Lärm der Musik und der feiernden Menschen, als rieche man den Qualm der Zigaretten, den Schnaps und den Schweiß durch die Bilder hindurch in der Gegenwart.
Zur Ausstellung ist ein opulenter Ausstellungskatalog erschienen. Das 240-seitige Buch beinhaltet neben den gezeigten Fotografien auch die dazugehörigen Künstler:innen-Begleittexte aus der Ausstellung sowie weitere Kontextualisierungen zu den Entstehungsbedingungen der Fotos. In der Jenaer Kunstsammlung wird die Ausstellung noch bis zum 15. Oktober 2023 zu sehen ein, ehe sie im nächsten Jahr nach Brandenburg weiterzieht. Ein Besuch lohnt in jedem Fall.


Jonathan Horn
Student Kulturgeschichte, Jena

 
 
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